Eltern, besonders arbeitende, sind oft gestresst. Meine 6 kleinen Tricks zur täglichen Entschleunigung kann jeder ganz einfach umsetzen:
Besorgungen, Geschenke, die Unterlagen für die Kita, die Unterschrift für die Musikschule, die Deadline für das Projekt, der Anruf beim Kinderarzt, Papas Geburtstag, die Wäsche, ach ja, ich muss noch einen neuen Kindersitz bestellen, und der Kleine braucht eine neue Matschhose, Oma Brigitte wartet auch schon seit zwei Tagen auf den Rückruf, und wir brauchen dringend Wäscheklammern… Moderne Eltern haben unwahrscheinlich viele Aufgaben und eine nie endende To-Do-Liste. Wir sind super organisiert und sprechen uns top ab, aber jeden Tag ist einfach wahnsinnig viel zu erledigen. So geraten wir in Stress und hetzen im Alltag von Aufgabe zu Aufgabe, von Termin zu Termin. Oft treiben wir dabei noch die Kinder an, obwohl wir wissen, dass Hetze nicht in einen Kinderalltag gehört.
Aber es gibt ein paar ganz einfache Dinge, die wir tun können, um unseren stressigen Alltag ein kleines bisschen zu entschleunigen. Das Schöne ist: Ein kleines bisschen reicht schon aus, da muss man nicht gleich einen ganzen Nachmittag lang ins Hamam oder in die Sauna gehen (wenngleich beides wirklich super ist, um runterzukommen).
Ich habe mich vor ein paar Tagen bei einer typischen Situation ertappt: Mein Tagwerk für die Arbeit war getan und ich hatte noch eine Stunde Zeit bis zur Abholung der Kinder. Die wollte ich für eine wichtige Besorgung und für zwei Online-Bestellungen nutzen. Außerdem wollte ich mir irgendwo schnell was zum Mittagessen holen. Nachdem ich erfolgreich im Fachgeschäft meine Farbdosen gekauft hatte, fiel mir ein, dass Markttag war. Weil es in Berlin-Prenzlauer Berg auf dem Ökomarkt höchst leckeres Streetfood gibt, beschloss ich, mir auf dem Markt ein Mittagessen zu kaufen. Ich entschied mich für eine mongolische Nudelpfanne mit Möhren und Kohl. “Bitte zum Mitnehmen,” sagte ich automatisch, denn ich plante, das Essen zu Hause vor dem Rechner zu essen und nebenbei noch die zwei Bestellungen zu machen. Jede Minute in meinem gefüllten Alltag ist schließlich kostbar! Aber da stutzte ich. Eine Frau mit einem sanften Gesichtsausdruck und einer friedlichen Ausstrahlung bestellte eine Suppe, setzte sich an den bereit gestellten Tisch und lächelte mich an. Die Vögel zwitscherten, die Sonne schien, ein Textilien-Verkäufer spielte leise auf seiner Gitarre. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen – warum nicht mein Essen in Ruhe hier auf dem Markt genießen, wo ich doch immer für achtsames Essen plädiere? Meine Bestellungen kann ich noch heute Abend machen.
“Bitte doch nicht zum Mitnehmen,” sagte ich. “Ich esse hier.”
Es war diese kleine Entscheidung, die den Tag für mich entschleunigte und mir das Adrenalin aus den Adern sog. Ich aß in Ruhe meine Nudelpfanne und plauderte sogar ein wenig mit meiner sympathischen Tischnachbarin. Weil ich die Bestellungen auf den Abend verschoben hatte, fuhr ich nach dem Essen in Ruhe zum Kindergarten. Die kleine Entschleunigung wirkte Wunder: Ich muss die Entspannung regelrecht ausgestrahlt haben, denn auch meine Kinder waren an diesem Tag viel weniger maulig als sonst.
Deswegen lautet mein erster Tipp wie folgt:
Tipp 1: In Ruhe essen
Ja, so einfach ist es. Rechner und Handy aus oder weglegen und das Sandwich, den Salat oder auch das Aufgewärmte von gestern in Ruhe genießen. Ich verspreche: Es sind nur fünf oder zehn Minuten, aber die bringen es! Wer ganz toll ist, kaut extra langsam oder zumindest eine wenig langsamer als sonst.
Tipp 2: Etwas anders machen / etwas Neues machen
Auch etwas Neues, das wir noch nie gemacht haben, erfrischt Körper und Geist. Die Zeitforschung hat festgestellt, dass Zeit gefühlt langsamer vergeht, je mehr Neues, Unbekanntes man erfährt. Wir alle kennen das: die erste Urlaubswoche, in der wir fast nur Neues erleben, fühlt sich immer an wie eine halbe Ewigkeit: “Was, erst eine Woche sind wir hier?! Ich habe das Gefühl, es sind schon zwei Wochen vergangen!” In der Stadt fällt es leicht, etwas kleines Neues, Unbekanntes in den Tagesablauf einzubauen: man geht einfach mal in ein Geschäft, das man noch nie besucht hat, oder geht einen Umweg durch einen Park oder durch eine Straße, die man sonst nicht geht, oder in einen Hinterhof. Oder man geht wirklich endlich mal einen Kaffee (nur einen Kaffee!) in dem Café trinken, das man immer links liegen lässt. Oder man nimmt das Fahrrad anstelle des Autos. Oder den Bus. Oder man kauft einen Strauß Blumen in einem Blumenladen, den man sonst nicht betritt. Wichtig ist nur: Es muss etwas Reales sein, nichts Mediales (neues Spiel auf dem Tablet o.ä.), also ein neuer Ort, eine neue Tat, eine neue Begegnung. Ich mache das gelegentlich, und es ist extrem aufbauend und erfrischend!
Tipp 3: Zu Fuß gehen
Ähnlich wie zu Tipp 2, ist aber im wahrsten Sinne des Wortes entschleunigend: Zu Fuß gehen. Meist wollen wir unsere Wege so schnell wie möglich zurücklegen und nehmen deswegen Auto, Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel, oft auch für kurze Strecken. Das langsame Tempo und die Eindrücke, die man zu Fuß aufnimmt, entschleunigen aber ungemein. Außerdem ist man vom stressigen Verkehr entbunden. Auf dem Bürgersteig drohen weniger Gefahren. Zu Fuß gehen: das Entschleunigungs-Mittel Nummer eins!
Tipp 4: Am offenen Fenster atmen
Es dauert nur eine Minute (gern auch länger), aber hat einen riesigen Effekt: Ruhiges Atmen am offenen Fenster. Noch besser atmet es sich freilich in einem Park oder im Garten, aber am offenen Fenster ist die Hemmschwelle niedriger und wir sind eher geneigt, es wirklich zu tun. Seitdem ich in der zweiten Schwangerschaft jeden Tag am offenen Fenster geatmet habe, weil mir das von einer guten Seele zum Wohl der Verbindung zum ungeborenen Kind geraten wurde, gehört das Atmen am Fenster zu meinem Ruhe-Ritual, wenn ich besonders stark unter Strom stehe. So geht’s:
Du öffnest das Fenster und stellst Dich direkt davor, so dass Du aus dem Fenster siehst. Du breitest die Arme seitlich aus und atmest einfach ein paar Minuten lang tief ein und aus. Spüre Deine Füße und Deine Verbindung zum Boden, und stelle Dir vor, Du bist oben am Scheitel mit einer unsichtbaren Schnur mit dem Himmel verbunden. Hach, es tut so gut, man fühlt sich danach so herrlich erfrischt!
Tipp 5: Eine Postkarte schreiben
Ist vielleicht nicht so wahnsinnig entschleunigend, macht aber extrem glücklich: Eine reale Postkarte an einen alten Freund oder Bekannten schreiben. Folgender Text reicht völlig aus: “Ich habe gerade an Dich gedacht und will Dir einen lieben Gruß schicken! Auf bald? Deine…” Wer noch mehr entschleunigen will, liest ein Gedicht und schreibt dieses auf die Postkarte. Der erste Mensch, der einem bei dem Gedicht in den Sinn kommt, bekommt die Postkarte: “Ich musste bei diesen Zeilen an Dich denken. Vielleicht geben die Worte Dir etwas. Es grüßt Dich Deine …”
Tipp 6: Eine Gedankenreise an einen Ort der Ruhe und Entspannung machen
Für eine Gedankenreise brauchst Du eventuell etwas länger, etwa 10 bis 15 Minuten. Du setzt Dich bequem hin (besser: legst Dich entspannt hin), fühlst, wie Du Deine Unterlage oder den Boden berührst, und begibst Dich dann gedanklich an einen Ort der Ruhe und der Entspannung. Du stellst Dir vor, wie Du einen Weg durch eine Wiese oder einen Wald gehst, und dann, auf einer Lichtung oder an einem anderen schönen Ort in der Natur, auf Deinen persönlichen Luxus-Wohlfühl-Ort triffst. Du darfst Dir diesen Ort ausmalen, wie Du willst – er darf mit allem ausgestattet sein, was Dich entspannt, und was Dir Ruhe gibt. Du stellst Dir diesen Ort ganz genau vor. Ist es einfach eine Wiese mit Blumen, wo die Insekten summen? Ist es ein feiner weißer Strand an einem klaren Bergsee, wo die Fische springen? Oder ist es eine gemütliche Holzhütte mit einem weichen Bauernbett, ausgestattet mit gemütlichem Schaffell, Strickstrümpfen und Daunendecken, und auf dem Nachttisch steht ein heißer Kakao? Alles ist erlaubt! Stell Dir einfach ein paar Minuten lang diesen Ort der Ruhe und der Entspannung vor. Der Ort ist nur für Dich, alles Unangenehme bleibt draußen. Da es ein Ort der Fantasie ist, kann es auch eine rosa Wolkendecke sein, in die Du Dich hineinfallen lässt, und die Dich trägt. Vollkommen egal, Hauptsache, Du fühlst Dich mit der Vorstellung wohl und geborgen. Nach ein paar Minuten an Deinem Wohlfühl-Ort verabschiedest Du Dich und gehst den Weg gedanklich wieder zurück. Du gehst gedanklich durch eine Tür und machst dann die Augen auf. Nimm Dir etwas Zeit, um in die Realität zurückzufinden. Ich verspreche: eine solche Gedankenreise wirkt wahre Wunder!
Bonus-Tipp: Jeden Tag ein Entspannungs-Ritual ziehen und umsetzen
Die größte Gefahr besteht darin, dass wir die kleinen Entschleunigungs-Rituale einmal durchführen, dann aber nicht durchhalten und aufgeben. Um dem zu entgehen und uns selbst auszutricksen, hatte ich folgende Idee: Alle Ideen für Alltags-Entspannung auf einen kleinen Karton schreiben (z.B. Rückseiten von Visitenkarten) und als kleinen Stapel an eine Stelle legen, wo Du jeden Morgen auf jeden Fall hingreifst, z.B. neben den Wasserkocher oder die Kaffeemaschine. Mein Stapel liegt neben den Tabletten, die ich jeden Morgen schlucken muss. Dann jeden Morgen einen Zettel ziehen und das kleine Ritual schon in Gedanken in den Tagesablauf einbauen. Fest vornehmen, es wirklich zu machen. Ein Ritual am Tag reicht aus – die Latte nicht zu hoch hängen, sonst gebt Ihr auf!
Folgendes könnt Ihr auf die Karten schreiben (hol am besten gleich Kärtchen und Stift und lege den Kartenstapel an – jetzt!):
- In Ruhe essen
- Zu Fuß gehen
- Etwas Neues machen / etwas anders machen
- Am Fenster atmen
- Eine Postkarte schreiben
- Gedankenreise an meinen Wohlfühl-Ort